Pressemeldungen der letzten Tage sorgen für Aufregung und Sorge um den Bestand unserer Lipizzaner in der Spanischen Hofreitschule und im Bundesgestüt Piber. Dankenswerterweise hat uns die Leitung der Spanischen Hofreitschule über die Art der Erkrankung und die vorgesehene Behandlung einen sachlichen und ausführlichen Bericht übermittelt, der hier ungekürzt wiedergegeben wird:
*CEM Infektion in der Spanischen Hofreitschule und im
Bundesgestüt Piber*
Erläuterungen & Maßnahmen
I) Präambel
Der CEM Erreger (Contagious Equine Metritis, dt. ansteckende Pferdemetritis oder übertragbare Gebärmutterentzündung) trat in Europa erstmals 1977 in Newmarket (GB) auf. In Österreich wurde sie erstmals Anfang der achtziger Jahre vor allem bei importierten Sportpferden nachgewiesen. Die Infektion ist in Österreich nicht anzeigepflichtig, der Grad der aktuellen Verbreitung des CEM Bakteriums im nationalen Pferdebestand daher nicht abschätzbar.
II) Was ist CEM
Die Ansteckende Pferdemetritis kann sowohl die Stute als auch den Hengst betreffen. Sie wird durch den bakteriellen Erreger Taylorella equigenitalis verursacht und gilt als hochansteckende Krankheit. Sie verläuft beim Hengst symptomlos, dieser dient aber als Überträger des Keimes.
Beim Deckakt wird der Keim auf die Stute übertragen. Klinische Symptome treten in Form einer Entzündung des Geschlechtsapparates auf, die Stute zeigt mehrere Tage nach der Infektion einen sichtbaren Scheidenausfluss. Danach klingen die Entzündungsanzeichen wieder ab. An CEM erkrankte Stuten bleiben in der Folge häufig steril und können bei einem Hengstwechsel den nachfolgenden Hengst infizieren.
Die Stute kann jedoch über Monate oder Jahre ebenfalls symptomlose Trägerin des Keimes bleiben. Der Keim kann bei den Stuten die Gebärmutter und zusätzlich oder ausschließlich die Klitoris besiedeln.
III) Wer ist betroffen
In erster Linie sind Equiden, also Pferde sowie Esel, betroffen, für Menschen oder andere Arten ist diese Bakterium vollkommen ungefährlich. CEM ist vor allem für Zuchtpferde von Bedeutung.
Aufgrund der geringen Symptome (beim Hengst überhaupt keine) ist CEM nur schwer erkennbar. Vor allem die wirtschaftlichen Einbußen durch die potentielle Sterilität von infizierten Stuten sind für Züchter erheblich. Immer wieder tritt CEM in mehreren Zuchtländern Europas auf – der Erreger Taylorella equigenitalis scheint in Europa endemisch („einheimisch“) zu sein.
IV) Wie wird die Krankheit übertragen
Die CEM ist eine typische bakterielle Kontaktinfektion. Die Erreger sind beim erkrankten Pferd auf dem Penis bzw. auf die Gebärmutter oder die Klitoris lokalisiert. Der Hauptübertragungsweg findet beim Deckakt statt, allerdings kann CEM auch über die künstliche Besamung mit Frisch-, aber auch Kühl- und Gefriersperma von kontaminierten Hengsten verschleppt werden. Auch die passive Übertragung des Erregers über kontaminiertes Material, Schwämme und Einrichtungen ist möglich. Eine weitere Verbreitungsmöglichkeit besteht im Zuge der Geburt von der Stute auf das Fohlen.
CEM wird jedoch nicht über die Luft übertragen, eine Übertragung mittels Husten, Nasen- und Maulsekrete, Urin oder Kot scheint nach derzeitigem Wissensstand unwahrscheinlich, ebenso eine Übertragung durch Menschen oder andere Tierarten.
V) Wie lange kann das Bakterium überleben
Ohne den „Wirt“ – die Geschlechtsorgane des Pferdes – stirbt der Erreger in der Umwelt wahrscheinlich schnell ab. Potenziell kontaminiertes Material und die Infrastrukturen müssen vorsichtshalber gereinigt und desinfiziert werden.
VI) Wie kann die CEM diagnostiziert werden
Zur CEM Diagnose werden Tupferproben durchgeführt, die mit speziellen Medien und Verfahren in hierfür qualifizierte Labors analysiert werden. Bei der Stute werden die Tupfer in der Gebärmutter sowie der Klitoris entnommen, der Hengst wird (im Erektionszustand oder unter Sedation) in der Harnröhre, in der Eichelgrube sowie am Penisschaft getupfert. In der EU und den USA werden heutzutage zudem Proben vom Vorsekret oder vom Sperma verlangt. Die Tupferproben sollen dreimal, jeweils im Abstand von sieben Tagen, durchgeführt werden. Wird vor der Tupferprobe eine Behandlung des Geschlechtsapparates vorgenommen, sollte die letzte Behandlung rund 10 Tage zurückliegen.
VII) Wie kann die Krankheit behandelt werden
CEM ist gut therapier- und heilbar: Das Entscheidende ist die gründliche tägliche Genitalreinigung über ca. 7 Tage mit Desinfektionsseife und Auftragen einer Antibiotikasalbe. Zusätzlich sollten Antibiotika systemisch verabreicht werden (am besten per oral).
VIII) Wie kann vorgebeugt werden
Vor jeder Decksaison werden von den eingesetzten Zuchthengsten dreimal im Abstand von je einer Woche Tupferproben genommen, und nur nach negativem Ergebnis werden diese für den Zuchteinsatz freigegeben. Im Falle des Einsatzes des Hengstes mittels künstlicher Besamung sind in der Produktion für EU-taugliches Sperma noch weitere Tupferproben vorgesehen und nach der Absamung vorgeschrieben.
Neben den Tupferproben spielen insbesondere im Rahmen des Natursprungs eine einwandfreie Deckhygiene und weitere Hygienemaßnahmen eine zentrale Rolle in der Prävention.
IX) Was muss der Hengsthalter beachten
Neben der obligatorischen Tupferentnahme zum Jahresanfang, sollte der Züchter ebenfalls kontrollieren, ob für alle Stuten, die von seinen Hengsten belegt werden sollen, ein negativer Untersuchungsbefund auf CEM vorliegt.
Folgende Empfehlungen zur nachhaltigen Deckhygiene auf der Hengststation werden gemacht:
- Hengste zu Beginn der Decksaison einer gründlichen Genitalreinigung unterziehen
- jeder Stute vor der Belegung denn Schweif mit Wegwerfmaterial bandagieren
- falls nötig Reinigung der Scheiden- und Aftergegend mittels mit Alkohol angefeuchteter Watte
- neue Plastikhandschuhe für Hengsthalter und Hilfspersonen nach jeder Belegung
- Deckgeschirr und sonstiges Material sauber halten und periodisch desinfizieren
- Stuten mit Scheidenausfluss nicht decken und dem Tierarzt vorstellen
- Hengst und Stute im Falle eines wiederholten Umrossens dem Tierarzt vorstellen
- Zweite CEM Kontrolle am Ende der Decksaison
- Empfohlen werden Waschungen des Penis mit Wasser, besonders direkt nach dem Deckakt. Von zu häufigen Waschungen mit Desinfektionsmitteln wird abgeraten, da hier die normale Bakterienflora auf dem Penis abgetötet wird.
X) Was muss der Stutenbesitzer machen
Die Stuten sind vor den Belegen auf CEM zu tupfern und nach dem Belegen bezüglich eines Scheidenausfluss zu überwachen, selbst wenn eine Trächtigkeit festgestellt wird.
XI) Wann wurde das Bakterium im Bundesgestüt Piber oder der Spanischen Hofreitschule erstmals festgestellt
Wie und wann der Keim eingeschleppt wurde, ist zur Zeit nicht klar und wäre nur spekulativ zu beantworten. Allerdings wurde er bei einzelnen Zuchttieren bereits im Jahr 2002 im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit im Bundesgestüt Piber nachgewiesen. Bis zum heutigen Tag sind im Bestand der Gesellschaft in Bezug auf den CEM Erreger keinerlei klinische Symptome aufgetreten, die Fruchtbarkeitsrate lag in der Decksaison 2006 bei über 90% und damit deutlich über dem internationalen Durchschnitt.
Im November 2006 wurde ein Lipizzaner, der nie zu Zuchtzwecken verwendet wurde, aus Piber in die USA exportiert. Dort wurde er CEM positiv getestet, obwohl die Tupferprobe in Piber negativ war. Dieses Ergebnis war Anlass, die Diagnostik auch auf Pferde auszuweiten, die nicht im Zuchtgeschehen involviert waren.
XII) Welche Maßnahmen wurden auf Grund der bisherigen Erkenntnisse getroffen
Die jetzige Lage des Auftretens des CEM Erregers im Pferdebestand der Gesellschaft wurde dem Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend als oberste Veterinärbehörde und dem internationalen Tierseuchenamt (OIE) gemeldet.
Gleichzeitig wurde sofort ein Expertengremium zusammengestellt, welches sich aus folgenden Experten zusammensetzt: Dr. Dominik Burger, Schweizer Nationalgestüt[1]; Dr. Georg Hladik, behandelnder Tierarzt der Spanischen Hofreitschule; Univ. Prof. Dr. Christine Aurich, Veterinärmedizinische Universität Wien; Dr. Elisabeth Reisp – Pöchacker, Gesundheitsministerium; seitens der Gesellschaft Mag. Armin Aigner, Geschäftsführer; Dr. Maximilian Dobretsberger, Gestütsleiter Bundesgestüt Piber, Ernst Bachinger, Leiter der Reitschule;
Dem Gremium wurde der von Dr. Hladik und Dr. Dobretsberger erstellte Bekämpfungsplan für die Standorte Wien und Piber vorgelegt und im Zuge mehrerer Sitzungen umfassend diskutiert und adaptiert, sowie die sofortige Umsetzung einstimmig beschlossen. Die wesentlichen Maßnahmen werden im Weiteren kurz dargestellt. Außerdem wurde mit der Erstellung eines Überwachungs- und Nachbehandlungsplanes als Fortsetzung des aktuellen Bekämpfungsplanes begonnen.
Spanische Hofreitschule Wien
Von den derzeit in Wien befindlichen Hengsten wurden bereits die positiven von den negativen getrennt. Durch umfassende hygienische Maßnahmen sowie der diesbezüglichen Instruktion des gesamten Personals wird im ersten Schritt eine weitere Verbreitung des Erregers verhindert.
Von allen negativ befundeten Pferden sind erneut Tupferproben (Fossa-Urethra-Penisschaft = Tupferset) genommen worden. Zwei Wochen später wird nach dem Ergebnis der zweiten Untersuchung ein Teil der abkömmlichen positiven Pferde in das Sommerquartier Heldenberg übersiedelt und dort in eigenen Isolationsstallungen untergebracht. Bei diesen Pferden erfolgt ein sofortiger Behandlungsbeginn. Dadurch erhoffen wir uns bereits vor der routinemäßigen Übersiedelung aller Pferde im Zuge der jährlichen Sommerpause eine deutliche Keimreduktion in der Stallburg der Hofreitschule zu erzielen.
Vor der routinemäßigen Übersiedelung der Hengste in das Sommerquartier Heldenberg wird ein weiteres Tupferset von den verbliebenen negativen Pferden genommen. Damit wird erneut der Status des Hengstes bestätigt und es können die für den Transport notwendigen Hygienemaßnahmen wirksam gesetzt werden.
Am Heldenberg selber werden die positiven getrennt von den negativen Pferden aufgestallt. Danach wird auch bei den restlichen positiven Pferden mit der Behandlung begonnen. Durch diese Übersiedelung ist es uns möglich die gesamten Stallungen in Wien standardgemäß zu reinigen, zu desinfizieren sowie neu auszumalen.
Alle positiven Pferde werden einer lokalen Behandlung (tägliche gründliche 5minütige Peniswaschung mit Hibiscrub und nach Trocknung auftragen einer Nitrofurazon Salbe über 7 Tage) und einer systemischen Antibiose unterzogen. Das ist eine State-of-the-art- Behandlung, es kann jedoch keine absolute Erregerfreiheit garantiert werden.
Nach Ende der Behandlung wird der Erfolg durch Tupfersets überprüft, und zwar 3 mal im Abstand von je 7 Tagen. Erst nach 3 negativen Befunden kann das betroffene Pferd als frei von CEM angesehen werden (gemäß der betreffenden EU Richtlinie). Durch diese konsequente Behandlung wird die Mehrheit der positiven Pferde während der Sommerpause erfolgreich behandelt werden können. Sollte ein Pferd trotz dieser Behandlungen bis zum Ende der Sommerpause weiterhin den Keim tragen, verbleibt es bis zum endgültigen Eintreten des Behandlungserfolges im Sommerquartier Heldenberg.
Ein Stallbesuch des Sommerquartiers ist für Besucher nicht möglich. Der Stallbesuch in Wien ist voraussichtlich bis Anfang Juli nur eingeschränkt möglich. Die Vorführungen, die Morgenarbeit sowie das Privatissimum der Spanischen Hofreitschule werden ohne Einschränkung durchgeführt.
Bundesgestüt Piber
Da bis jetzt im Bundesgestüt Piber nur Einzelfälle diagnostiziert wurden, können die Besucherbereiche uneingeschränkt genutzt werde. Die jetzt betroffenen positiven Pferde sind in der Veterinärstation unter Quarantäne gestellt und werden dort nach obigem Schema behandelt.
Bis zur endgültigen Befundung des gesamten Pferdebestandes (8 Wochen) werden als Sofortmaßnahmen die Teilnahme an Fremdveranstaltungen, der Pferdeverkauf und die Teilnahme von Gastpferden auf Eigenveranstaltungen eingestellt.
Nach Vorliegen der genauen Ergebnisse für den gesamten Bestand werden die weiteren notwendigen Maßnahmen ergriffen.
Selbstverständlich werden dann positive und negative Pferde nach Gruppen getrennt und auch vom Personal gesondert gefüttert und betreut.
In Zukunft wird das bisher bei Zuchttieren angewandte Hygiene- und Früherkennungsverfahren auf alle Pferde des Gestütes ausgeweitet. Die Behandlung selbst ist ident mit jener an der Spanischen Hofreitschule.
Wien, am 10.4.2007
Mag. Armin Aigner
Dr. Maximilian Dobretsberger